Halle. LAV. Die Poliomyelitis (Kinderlähmung) ist eine leicht übertragbare Erkrankung, die nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene betrifft und durch Impfung vermeidbar ist.
Vor 35 Jahren beschloss die Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Kinderlähmung den Kampf anzusagen mit dem Ziel einer weltweiten vollständigen Ausrottung. Hierzu wurde 1988 die Globale Initiative zur Eradikation der Poliomyelitis mit Partnern nationaler Regierungen, der WHO und weiteren Mitgliedern gegründet.
Auslöser der Erkrankung sind Polioviren, die vorwiegend fäkal-oral übertragen werden und sich in den Schleimhäuten des Rachens und des Magen-Darm-Traktes vermehren. Es werden 3 Wildvirus-Serotypen unterschieden, WPV-1, -2 und -3.
Da die weltweite Verbreitung der Polioviren vor Einführung der Impfung so ausgeprägt war, dass die meisten Kontakte mit dem Erreger schon im Kindesalter erfolgten, prägte sich der Begriff „Kinderlähmung“.
Verlauf & Behandlung
Die meisten Infektionen verlaufen asymptomatisch. Bei einem manifesten Krankheitsverlauf, der mit Fieber und schweren Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen beginnt, werden Meningitis, asymmetrische Lähmungen der Bein-, Arm-, Bauch-, Brust- oder Augenmuskeln und das Post-Polio-Syndrom unterschieden. Hier kommt es Jahre oder sogar Jahrzehnte nach der Erkrankung zur Zunahme der Lähmungen mit Abbau der betroffenen Muskulatur.
Eine spezifische Therapie mit antiviralen Substanzen existiert nicht. In der akuten Phase der Erkrankung erfolgt eine symptomatische Behandlung, gefolgt von je nach Verlaufsform längeren physiotherapeutischen und orthopädischen Nachbehandlungen.
Impfung schützt
Die einzige Möglichkeit, die Erkrankung zu verhindern, ist die vorbeugende vollständige Impfung.
Diese wurde 1955 von Dr. Jonas Salk mit dem ersten inaktivierten Polioimpfstoff (IPV) geschaffen, der damit den Grundstein für den weltweiten Kampf gegen die Kinderlähmung legte. Zu seinen Ehren wird deshalb an seinem Geburtstag, dem 28. Oktober, jährlich der Weltpoliotag begangen. Den Siegeszug eines der erfolgreichsten Gesundheitsprogramme der Geschichte leitete dann jedoch die 1961 von Dr. Albert Sabin entwickelte leicht zu verabreichende Polio-Schluckimpfung (OPV) ein.
Durch den breiten Einsatz der Schluckimpfung im Zuge der Globalen-Polio-Eradikations-Initiative (GPEI) sind inzwischen die Poliowildvirustypen WPV-2 und WPV-3 ausgerottet worden und fünf der sechs WHO-Regionen wurden als poliofrei zertifiziert, darunter Europa 2002 und zuletzt Afrika 2020. Die WHO-Region „Naher Osten“ gilt noch nicht als poliofrei, da hier in Pakistan und Afghanistan noch immer Wildvirus-Infektionen auftreten und durch die politischen Verhältnisse die Arbeit von Impfteams erschwert wird bzw. sogar lebensgefährlich ist.
In Deutschland wurde die letzte Erkrankung durch Poliowildviren 1990 erfasst. Obwohl seit 1988 nahezu 99% aller Poliowildvirus-Infektionen verhindert werden konnten, bleibt die Polioimpfung ein unverzichtbarer Schlüssel, um das Ziel der weltweiten Verbannung der Polioviren zu erreichen. Denn ein größeres Problem als die Erkrankungen durch Wildviren stellen zum einen die in den letzten Jahren zunehmenden Infektionen dar, die durch zirkulierende abgeschwächte Lebendviren des Schluckimpfstoffes (cVDPV) verursacht werden und auch in Ländern auftreten, in denen die Kinderlähmung schon seit Jahrzehnten als ausgerottet gilt. Diese Viren werden nach Impfung natürlicherweise mit dem Stuhl ausgeschieden, zirkulieren unbemerkt weiter und verändern sich dabei durch Mutation so, dass bei nicht ausreichendem Impfschutz der Bevölkerung wieder Lähmungen wie durch WPV verursacht werden können. Afrikanische Länder sind auf Grund niedriger Impfquoten besonders davon betroffen.
Zum anderen erzeugt die Impfung mit dem Totimpfstoff IPV, der in Deutschland seit 1998 ausschließlich eingesetzt wird, keine ausreichende Schleimhaut-Immunität. Auch wenn also diese Geimpften selbst nicht erkranken, so können sie doch als Überträger der Erkrankung fungieren.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) empfiehlt die Impfung gegen Kinderlähmung im Impfkalender als Grundimmunisierung mit 3 Impfungen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten sowie eine Auffrisch-Impfung im Alter von 9-16 Jahren. Danach ist keine weitere Impfung notwendig. Im Fall von nicht oder unvollständig Geimpften gibt die STIKO in ihren jährlich erscheinenden Impfempfehlungen Hinweise, wie mit diesen Personen verschiedener Altersgruppen zu verfahren ist.
Die Polio- Impfquote mit vollständiger Grundimmunisierung liegt in Deutschland für Kinder des Geburtsjahrgangs 2019 im Alter von 24 Monaten bei 81,2% (RKI KV-Impfsurveillance). Bis zur Einschulung werden fehlende Impfungen jedoch nachgeholt, so dass bei den 4-7jährigen Kindern des Einschulungsjahrganges 2020 eine Impfquote 91,9% erreicht wird.
In Sachsen-Anhalt beträgt die Impfquote bei einzuschulenden Kindern des gleichen Einschulungsjahrganges 91,5%. Dabei ist seit dem Einschulungsjahr 2016 ein bedenklich rückläufiger Trend zu beobachten, die Kinder der Jahre bis 2015 waren mit einer Polio-Impfquote von bis zu 96% deutlich besser geimpft (Impfbericht Sachsen-Anhalt 2020).
Insbesondere vor dem Hintergrund von Globalisierung und Migration ist es unbedingt erforderlich, die von der WHO empfohlene Impfquote von mehr als 95% zu erreichen, da nur durch konsequentes und zeitgerechtes Impfen eine stabile Bevölkerungsimmunität erreicht und aufrechterhalten werden und die weltweite Eradikation der Kinderlähmung in naher Zukunft gelingen kann.