Forschende der MLU finden neue Behandlungsmöglichkeit für Bewegungsstörung

Mikroskop
© H@llAnzeiger

Seltener Gen-Defekt: ADCY5-abhängige Dyskinesie

Halle. MLU. Die Muskelkrankheit ADCY5-abhängige Dyskinesie lässt sich womöglich mit dem Asthma-Wirkstoff Theophyllin behandeln. Darauf deutet eine neue Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), der Universitätsmedizin Halle und der Universitätsklinik Leipzig hin.

In der Fachzeitschrift “PLOS ONE” beschreiben die Forschenden den Fall eines Kindes mit der Erkrankung, dessen Symptome sich durch das Medikament in beeindruckender Weise verbesserten. Die ADCY5-abhängige Dyskinesie ist eine äußerst seltene Erkrankung, die bei den Betroffenen zu Zuckungen und unkontrollierten Bewegungen führt. Bislang gibt es keine Möglichkeit, die Krankheit zu heilen.

Stichwort: “Off-Label-Use”

In der Vergangenheit wurden die Symptome mit Medikamenten zur Muskelentspannung behandelt, die jedoch zu starken Nebenwirkungen führen können. Durch Zufall wurde in den USA ein Fall bekannt, bei dem eine Familie ihr Kind mit Kaffee behandelte und so die Symptome lindern konnte. In einer kleinen Studie mit 30 Kindern profitierten fast alle von einer Koffein-Behandlung. “Durch das Koffein werden die unkontrollierten Bewegungen schwächer. Warum das so ist, war allerdings bislang unklar. Außerdem hat die Behandlung auch Nachteile, da die Kinder zum Beispiel nicht gut schlafen können”, so Prof. Dr. Andrea Sinz vom Institut für Pharmazie der MLU. Das Team aus Halle und Leipzig suchte nach existierenden Medikamenten, die eine dem Koffein ähnliche Grundstruktur aufweisen. Die Idee: Lassen sich solche Medikamente ausmachen, könnten sie womöglich sogar besser wirken und weniger Nebenwirkungen haben. In der Medizin spricht man hier von einem “Off-Label-Use“: Ein bereits für eine bestimmte Behandlung zugelassenes Medikament wird für einen anderen Zweck genutzt.

Fündig wurden die Forschenden bei dem Asthmamittel Theophyllin und dem Parkinson-Medikament Istradefyllin. Letzteres ist in Europa jedoch nicht zugelassen. In Zellversuchen gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Hüttelmaier vom Institut für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Halle konnte der Wirkmechanismus der Substanzen bestätigt werden: Sie sorgen dafür, dass die Bildung des cAMP-Botenstoffs in den Zellen gedrosselt wird.

Fallstudie mit positivem Ergebnis

In Absprache mit den Eltern eines an ADCY5-abhängiger Dyskinesie erkrankten Kindes und dem behandelnden Neurologen Prof. Dr. Andreas Merkenschlager vom Universitätsklinikum Leipzig testeten die Forschenden dann den Einsatz von Theophyllin. “Das Medikament ist für den Einsatz bei Kindern zugelassen und kann sicher angewendet werden”, sagt Pharmazeutin Sinz. Zunächst wurde es in sehr geringen Dosen verabreicht, später wurden diese gesteigert. Währenddessen wurde der Gesundheitszustand des Kindes streng überwacht. Nach einigen Monaten war das Kind in der Lage, aus dem Rollstuhl aufzustehen und zu laufen und deutlicher zu sprechen. Gleichzeitig ließen sich keine gravierenden Nebenwirkungen beobachten. Sinz: “Theophyllin konnte die Symptome gezielt lindern und die Lebensqualität des betroffenen Kindes in beeindruckender Weise steigern. Unsere Arbeit ist zunächst nur eine Fallstudie, die aber jetzt schon betroffenen Familien Hoffnung gibt. Weltweit wurden nun Untersuchungen mit anderen Kindern gestartet und alle zeigen Erfolge, vor allem beim Laufen und Sprechen. Wir hoffen, dass die Ergebnisse möglichst bald in eine reguläre Therapie münden.”