Rekordnachfrage im Schienenpersonennahverkehr flankiert von großen Schwachstellen bei der Zuverlässigkeit
Magdeburg/MID. Nach den Worten von Sachen-Anhalts Verkehrsministerin Dr. Lydia Hüskens fällt die aktuelle Bilanz des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Land sehr gemischt aus. „Noch nie in den vergangenen 30 Jahren sind die Menschen so häufig mit der Bahn gefahren wie heute. Die Nachfrage im Schienenpersonennahverkehr hat ein Rekordniveau erreicht. Gleichzeitig wird das Angebot kontinuierlich angepasst, ausgeweitet und verdichtet, um dieser Entwicklung gerecht zu werden. Dennoch erleben viele Fahrgäste Tag für Tag, dass Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit mit dieser Dynamik nicht Schritt halten – im Gegenteil: Sie befinden sich auf einem historischen Tiefstand“, fasste Lydia Hüskens heute in Magdeburg mit wenigen Sätzen die gegenwärtige Situation zusammen. Eine Woche nach dem Fahrplanwechsel sei ein geeigneter Zeitpunkt, um das vergangene Jahr ehrlich zu bilanzieren und den Blick auf die Herausforderungen des kommenden Jahres zu richten, fügte sie hinzu.
Nachfrage gestiegen
Der Ministerin zufolge lag die Nachfrage bereits im vorigen Jahr um 84 Prozent über dem Niveau von 2019. Und für 2025 wird voraussichtlich mit einem weiteren Anstieg zu rechnen sein. Diese Zahlen bestätigten einmal mehr die große Bedeutung des Deutschlandtickets, das gerade in Sachsen-Anhalt eine besonders große Wirkung entfalte, sagte Hüskens. „Das Ticket wirkt bei uns besonders stark, da die Ausgangsnachfrage vor seiner Einführung vergleichsweise niedrig war. Hinzu kommt die geografische Lage unseres Landes. Viele Reisende durchqueren Sachsen-Anhalt auf dem Weg in die Metropolen. Doch auch Regionen ohne klassischen Durchgangsverkehr profitieren deutlich. Hier wurden Nachfragesteigerungen von bis zu 50 Prozent verzeichnet“, nannte sie die wichtigsten Zahlen zur Fahrgastentwicklung. „Die Nachfrage reiße auch trotz der eingeschränkten Zuverlässigkeit des Angebots nicht ab“, ergänzte sie. Doch gleichzeitig stehe der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) vor sehr großen betrieblichen Herausforderungen.
Pünktlichkeit – Personalmangel – Infrastruktur
Der Personalmangel ist mit 43 Prozent auch im Jahr 2025 die Hauptursache für ausgefallene Zugleistungen. An zweiter Stelle folgt die begrenzte Fahrzeugverfügbarkeit mit 16 Prozent, dicht dahinter liegen die infrastrukturellen Defizite mit 14 Prozent. „Diese Entwicklungen haben natürlich deutliche Auswirkungen auf die Qualität des Angebots. Die Pünktlichkeit ist seit 2019 kontinuierlich rückläufig. Während damals noch 93,8 Prozent der Züge pünktlich ihr Ziel erreicht haben, werden es 2025 voraussichtlich nur noch 84,7 Prozent sein – nach 87,3 Prozent im Jahr 2024“, brachte die Ministerin die Probleme auf den Punkt.
Insbesondere die infrastrukturell bedingten Störungen entziehen sich weitgehend dem Einfluss der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Sie wirken sich jedoch massiv auf die Angebotsqualität, vor allem auf die Pünktlichkeit aus. „Hier muss das Land handeln. Nicht erbrachte Leistungen können wir ganz einfach nicht bezahlen“, betonte Hüskens mit Blick auf die Notwendigkeit, Minderungen geltend zu machen. „Würden diese Minderungen in vollem Umfang zum Tragen kommen, wären die Unternehmen in ihrer Existenz bedroht. Daher ist es im Interesse des Landes, hier mit Augenmaß vorzugehen und die Rückforderung nicht in voller Höhe auszuschöpfen“, erläuterte sie das Verfahren. Im Umkehrschluss müssten die Betreiber aber in die Pflicht genommen werden und an der Qualität ihres Angebots arbeiten, fügte die Ministerin hinzu. Daher wende die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) seit 2023 bei der Bewertung der Leistungserbringung das pflichtgemäße Ermessen an. „Dadurch wird das vertragliche Risiko aus Zugausfällen und Qualitätsmängeln teilweise begrenzt. Für 2025 liegen zwar noch keine abschließenden Zahlen vor, nach aktueller Hochrechnung werden die Minderungen jedoch bei rund 30 Millionen Euro liegen – gegenüber etwa 53 Millionen Euro im Jahr 2024“, führte Hüskens aus.
„Hier kann man nur ein Fazit ziehen: Die Qualität des ÖPNV im Land muss besser werden. Das hat für mich höchste Priorität“, sagte die Ministerin. „Langfristig setzen die Verkehrsverträge klare finanzielle Anreize dafür. Parallel dazu wurden für kurzfristige Verbesserungen – insbesondere bei der Personalverfügbarkeit – im vergangenen Jahr im Rahmen eines runden Tisches zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen und dem Land konkrete Maßnahmen erarbeitet. Der intensive Austausch zwischen den Unternehmen hat sich dabei als besonders wertvoll erwiesen“, ergänzte sie. Gemeinsam mit der DB InfraGO seien zudem besonders störanfällige Strecken identifiziert worden, um die Ursachen für Unpünktlichkeit streckenscharf zu analysieren und gezielt abzustellen.
„Neben dem gravierenden Personalmangel sind aber vor allem auch der Zustand der Infrastruktur, die dichte Belegung des Netzes und die vielen, oftmals auch sehr kurzfristigen Baumaßnahmen Hauptursachen für Zugausfälle und Verspätungen. Hier sind die Handlungsmöglichkeiten der Verkehrsunternehmen aber begrenzt. Deshalb geht mein Appell erneut in Richtung DB InfraGO, stärker in den notwendigen Ausbau der Eisenbahninfrastruktur zu investieren und die bestehenden Mängel langfristig zu beheben“, erklärte Lydia Hüskens abschließend.
Das Land hat aufgrund der gestiegenen Nachfrage zahlreiche Maßnahmen ergriffen.
Maßnahmen bereits ab Fahrplan 2024
- Stendaler Y mit Halbstundentakt Magdeburg – Stendal und Stundentakt Stendal – Uelzen
- zweistündliche Durchbindung der Züge Berlin – Rathenow bis Stendal
Maßnahmen bereits ab Fahrplan 2025
- Durchbindung Querfurt – Merseburg – Halle („neue S 11“)
- durchgehender Stundentakt Montag bis Sonntag Braunschweig – Magdeburg – Burg
- durchgehender Stundentakt Montag bis Sonntag Berlin – Dessau-Roßlau
Maßnahmen ab Fahrplan 2026
- Zusätzliche S-Bahn-Verbindung Halle – Dessau
- Durchbindung S5 / S5x nach Halle-Trotha
- Anschluss Naumburg an mitteldeutsches S-Bahn-Netz
- Verlängerung RB 33 (Tangermünde – Stendal) nach Seehausen/Wittenberge
Kapazitätserweiterungen in den Zügen
- drei zusätzliche Züge bei Abellio im Netz Saale-Thüringen-Südharz mit Kapazitätserweiterungen auf mehreren Linien
- ein weiterer zusätzlicher Zug ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2025
- zusätzliche Wagen in den Zügen des RE 13 Magdeburg – Dessau – Leipzig
- zusätzliche Wagen auf der Strecke Gera – Zeitz – Leipzig
