Studie der Universitätsmedizin Halle: Wie eine Sepsis Gefäßmuskelzellen beeinträchtigen kann

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Halle. UMH. Eine Sepsis kann nach einer Infektion durch Bakterien, Viren oder Pilze auftreten. Als Ursache für den lebensbedrohlichen Verlauf gilt eine fehlregulierte Immunreaktion. Sie ist gekennzeichnet durch eine Gefäßerweiterung sowie einen verringerten Gefäßwiderstand im gesamten Körper und daraus resultierenden Durchblutungsstörungen, die häufig zu Versagen eines oder mehrerer Organe führt. Selbst bei intensivmedizinischer Betreuung führt eine Sepsis in 30 bis 50 Prozent aller Fälle zum Tod. Bei Eintreten eines septischen Schocks wurde in einigen Studien auch eine Sterblichkeit von mehr als 50 Prozent berichtet.

Wie die Funktion von Muskelzellen der Blutgefäße durch eine Sepsis, oft auch Blutvergiftung genannt, gestört werden kann, zeigt eine aktuelle Studie der Universitätsmedizin Halle. Das Forschungsteam demonstrierte, dass erhöhte Laktatwerte und eine Übersäuerung, wie sie akut bei einer Sepsis durch einen entgleisten Stoffwechsel auftreten können, erst im Zusammenspiel schädlich auf die Gefäßmuskelzellen wirken. Die Studie im Journal of Biomedical Science liefert zudem eine Erklärung für die langanhaltenden Beeinträchtigungen von Sepsis-Überlebenden.

Behandlung von Sepsis stellt Kliniken weltweit vor große Herausforderungen

Eine frühzeitige Diagnosestellung ist entscheidend, da schwere Verläufe sich nur begrenzt behandeln lassen und bis zur Hälfte aller Fälle tödlich enden. „Die Sepsis ist eine gefährliche Komplikation, bei der es häufig zu Organversagen kommt. Dabei spielen Durchblutungsstörungen eine entscheidende Rolle. Die Mechanismen dahinter sind bisher aber kaum aufgeklärt“, sagt Dr. Stefanie Ruhs, Biochemikerin an der Universitätsmedizin Halle und Co-Erstautorin der Studie. Bekannt ist, dass es bei einer Sepsis zu Veränderungen im Stoffwechsel kommen kann: Bei rund zwei Drittel aller Betroffenen treten stark erhöhte Laktatwerte auf, bei gleichzeitiger Übersäuerung (Azidose) –  also ein niedriger Blut-pH-Wert. Um die Grundlagen der klinisch hochrelevanten Sepsis besser zu verstehen, arbeiten und forschen die Universitätsklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin und das Julius-Bernstein-Institut für Physiologie der Universitätsmedizin Halle eng zusammen.

„In der aktuellen Studie haben wir die Effekte von Laktat, einer reinen Azidose und der Kombination, der sogenannten Laktatazidose, auf Gefäßmuskelzellen der Blutgefäße untersucht. Letztere ist in der Klinik mit einer schlechten Überlebenschance verbunden“, so Ruhs weiter. Für die Untersuchungen nutzte das Forschungsteam isolierte Gefäßmuskelzellen der Hauptschlagader, die im Labor vermehrt wurden. Sie behandelten diese für 48 Stunden entweder mit Laktat bei normalem pH-Wert oder nur mit Säure ohne Laktat sowie in Kombination (Laktatazidose).

Ermüdung und Versteifung von Blutgefäßzellen durch Laktatazidose

Es zeigte sich, dass Laktat bei normalem pH-Wert nahezu keine relevanten Veränderungen in den Gefäßmuskelzellen hervorrufen kann. Eine Azidose ohne Laktat ließ einen Effekt auf genetischer Ebene erkennen: fast 500 Gene wurden unter sauren Bedingungen anders ausgeprägt. Allerdings waren die untersuchten Gefäßmuskelzellen in der Lage, nachteilige Auswirkungen auf ihre Funktion weitestgehend auszugleichen.

„Erst die Kombination von Laktat und sauren Bedingungen, also eine Laktatazidose, führte zu umfassenden Veränderungen auf genetischer Ebene, im Energiestoffwechsel und der Zellstruktur“, fasst Philipp Terpe, Promotionsstudent und Erstautor, die Ergebnisse zusammen. „Rund 1.500 Gene zeigten eine veränderte Expression, die mit dem Stoffwechsel- und dem Erscheinungsbild der Zellen zusammenhängen. Unter anderem kommt es zur Hemmung verschiedener Prozesse im Energiehaushalt, die nicht mehr abgefedert werden können. Zudem konnten wir einen Umbau der Gefäßmuskelzellen durch Mineralisierung nachweisen.“

In der Summe deuten diese Effekte darauf hin, dass Blutgefäße während einer Sepsis durch Umstrukturierung teilweise ihre Funktion verlieren und versteifen. Das schränkt die Durchblutung womöglich nicht nur kurz-, sondern auch langfristig ein. Diese nachhaltige Beeinträchtigung könnte auch eine Erklärung für die anhaltenden körperlichen und kognitiven Beschwerden von Patient:innen nach überstandener Sepsis liefern, so die Autor:innen der Studie. „Zukünftig wollen wir weitere Gefäßzell-Typen in unsere Analysen einschließen und zusätzlich untersuchen, ob die Normalisierung der Blutwerte nach einer Sepsis wiederholten Stress für die Zellen verursacht. Ein besseres Verständnis der Mechanismen dahinter könnte neue Marker offenbaren, die die Schwere einer akuten Sepsis frühzeitig anzeigen und somit die Reaktionszeit in der Klinik verkürzen. Denn bei der intensivmedizinischen Behandlung einer Sepsis und eines septischen Schocks zählt jede Minute. Und wenn es gelingt, Langzeiteffekte auf molekularer Ebene aufzudecken, könnten diese bei Überlebenden eventuell gezielt mit neuen Ansätzen therapiert werden“, so Terpe.