Neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen

Sonnenstrahlen
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Berlin/Offenbach/Hohenpeißenberg. DWD. Deutschland bekommt eine neue Infrastruktur zur Erforschung von Feinstaubpartikeln, Wolken und Spurengasen. Verteilt auf 11 Einrichtungen wird dieser deutsche Beitrag zur EU-Forschungsinfrastruktur ACTRIS künftig bessere Vorhersagen für Luftqualität, Wetter und Klima ermöglichen.

Der Aufbau der Infrastruktur wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den kommenden 8 Jahren mit insgesamt 86 Millionen Euro gefördert. In ACTRIS-D arbeiten AkteurInnen der deutschen Atmosphärenforschung zusammen: darunter Universitäten, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Behörden, zu denen auch der Deutsche Wetterdienst (DWD) gehört. Koordiniert wird der deutsche Teil der europäischen Forschungsinfrastruktur durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig.

Kurzlebige Bestandteile der Atmosphäre im Fokus

Die neue Forschungsinfrastruktur wird Daten zu den kurzlebigen atmosphärischen Bestandteilen der Atmosphäre vom Boden bis in die Stratosphäre liefern. Sie wird helfen, die Unsicherheiten in der Vorhersage des zukünftigen Klimas zu reduzieren, das Wissen über Klima-Rückkopplungsmechanismen zu verbessern sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und deren Auswirkungen auf Gesundheit und Ökosysteme zu bewerten.

Beteiligung DWD

Das Kürzel ACTRIS steht für Aerosol, Clouds and Trace Gases Research Infrastructure – eine Forschungsinfrastruktur für Aerosole (Feinstaubpartikel), Wolken und Spurengase (sogenannte kurzlebige Klimatreiber, englisch: „short lived climate forcers“, SLCF). Jedes dieser Themen wird sowohl über Beobachtungen am Boden als auch über bodengestützte Fernerkundung (komplementär zu Satelliten) bearbeitet. Daraus ergeben sich dann insgesamt sechs Arbeitsfelder, für die sechs sogenannte Zentrale Einrichtungen (Topical Centres) ein standardisiertes Qualitätsmanagement vorgeben und Weiterentwicklungen vorantreiben. Ziele sind vergleichbare Messungen in Europa, Verfügbarkeit der Daten und modernste Messtechnik.

In Deutschland werden Beiträge (Units) zu diesen sechs Topical Centres von renommierten wissenschaftlicher Institutionen geleistet. Dazu gehört auch das Meteorologische Observatorium Hohenpeißenberg (MOHp) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit Units in den Topical Centres Aerosol Fernerkundung sowie Bodenmessungen für reaktive Spurengase. Sowohl MOHp als auch die zweite DWD-Forschungseinrichtung, das Meteorologische Observatorium Lindenberg / Richard-Aßmann-Observatorium (MOL-RAO), fungieren zudem als Beobachtungsstationen in den Bereichen Aerosol (Boden und Fernerkundung), reaktive Spurengase (MOHp) und Wolken (MOL-RAO). Damit werden die umfangreichen Beobachtungsprogramme der Observatorien um ACTRIS Aufgaben dauerhaft erweitert. Dr. Christian Plaß-Dülmer, Leiter MOHp: „Die Zukunft liegt in der Bündelung der europäischen Aktivitäten rund um die Erfassung der Klimaveränderungen. Wir sind froh, mit beiden Observatorien des DWD daran entscheidend mitzuwirken.“

Auswirkungen auf Luftqualität und Gesundheit

Die kurzlebigen Bestandteile der Atmosphäre haben großen Einfluss auf die Luftqualität und das Klima. ACTRIS als grundlegende europäische Forschungsinfrastruktur für kurzlebige Atmosphärenbestandteile baut die Erdsystembeobachtung und -forschung aus und stellt der Gesellschaft das Wissen zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen bereit. In der Regel sind diese kurzlebigen Klimatreiber nur wenige Stunden bis Wochen in der Atmosphäre unterwegs – im Gegensatz zu den langlebigen Treibhausgasen wie Kohlendioxid, die viele Jahre bis Jahrzehnte in der Atmosphäre verbleiben. Deshalb ist über die Wirkung der langlebigen Treibhausgase sehr viel mehr bekannt als über die kurzlebigen Bestandteile, obwohl auch diese das Klima deutlich beeinflussen. So reflektieren winzige Schwebeteilchen beispielsweise Sonnenlicht und Wärmestrahlung oder dienen als Keime für die Bildung von Wolkentropfen und Eiskristallen, was die Niederschlagsbildung beeinflusst. Der Mensch nimmt durch Landnutzung, Verkehr und Energieerzeugung Einfluss auf die kurzlebigen Klimatreiber. Dr. Christian Plaß-Dülmer: „Wir brauchen ein besseres Verständnis der kurzlebigen Klimatreiber in der Atmosphäre, ihrer Quellen und Wirkungsweisen. Erst dann können wir ihren Einfluss auf Wetter und Klima sowie die Gesundheit abschätzen und in unsere Modelle einbauen.“

Neben den Wirkungen auf das Klima haben kurzlebige Bestandteile der Atmosphäre auch einen starken Einfluss auf die Luftqualität und damit auf die menschliche Gesundheit. Feinstaub und kurzlebige Spurengase wie Stickoxide führen zu Erkrankungen der Atemwege und reduzieren die Lebenserwartung aufgrund von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen.

Paneuropäische Initiative

Die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Atmosphäre vom einzelnen Auto bis hin zu riesigen Waldbränden können jedoch nur dann abgeschätzt werden, wenn Messungen kontinuierlich und großflächig an vielen Punkten erfolgen, denn die Atmosphäre kennt keine nationalen Grenzen. Deshalb wurde 2016 die paneuropäische Initiative ACTRIS auf die europäische Roadmap für Forschungsinfrastrukturen aufgenommen. Ab 2022 soll ACTRIS in der Rechtsform eines ERIC (European Research Infrastructure Consortium) seine langfristige Arbeit starten. Mit der Aufnahme des deutschen Beitrags ACTRIS-D auf die Nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen hatte sich Deutschland 2019 zur Mitarbeit an der europäischen Forschungsinfrastruktur bekannt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert diese Initiative im Rahmen der Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit“ (FONA). Das BMBF hat nun die Förderung des Aufbaus von ACTRIS-D mit zunächst insgesamt ca. 75 Millionen Euro begonnen. Mit diesen Mitteln werden in den nächsten fünf Jahren zahlreiche feste und mobile Messstationen sowie Labore und Simulationskammern ausgebaut oder neu errichtet. Eine zweite Förderphase zum vollständigen Aufbau von ACTRIS-D mit einer Förderung von ca. 11 Millionen Euro ist für den Zeitraum 2026-2029 geplant. Zusätzlich wird das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) einen wichtigen Beitrag leisten, indem es langfristig den Betrieb von Serviceeinrichtungen wie den ACTRIS-Kalibierzentren finanziert.

An ACTRIS beteiligen sich europaweit weit über 100 Forschungseinrichtungen aus 22 Ländern. Sie haben über Europa ein Netz aus mehr als 70 Observatorien gespannt, das durch Stationen in den Polarregionen, den Tropen und in Asien ergänzt wird. Dazu kommen 18 Simulationskammern und Labore in Europa, in denen Prozesse in der Atmosphäre im Experiment nachgestellt werden, sowie 17 mobile Messplattformen, die an unterschiedlichen Standorten eingesetzt werden können. ACTRIS soll einer breiten Nutzergemeinschaft effektiven Zugang zu seinen Daten, Ressourcen und Diensten bieten, um eine qualitativ hochwertige Erdsystemforschung zu ermöglichen. Vom freien und offenen Zugang werden nicht nur der Technologie- und Wissenschaftsstandort Europa, sondern auch Umweltbehörden und Entscheidungsträger und damit letztlich Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa profitieren.